In der Falle
Emil
riss die Augen auf. Sein Herz hämmerte in seiner Brust.
Er
lag auf dem Rücken und das über ihm war eindeutig seine
Zimmerdecke. Er blickte sich um. Das war auf jeden Fall sein Zimmer.
Immer noch etwas benommen richtete er sich auf, und versuchte sich
daran zu erinnern, was er gerade noch gedacht oder viel mehr geträumt
hatte. Warum war er so unruhig?
Mit
beiden Händen fuhr er sich über das Gesicht, um seine Gedanken zu
ordnen. Er war vollständig angezogen, trug immer noch Jeans und
einen Hoodie. Warum hatte er sich nicht umgezogen? Nur langsam kamen
die Erinnerungen zurück. Erst verschwommen, dann auf einen Schlag so
klar, dass er hoch fuhr. Martin. Die Seher hatten ihn mitgenommen.
Hastig
stieg er aus dem Bett und hastete nach unten. Die Seher hatten ihn
gegen seinen Willen hergebracht. Sie hatten ihn aufs Bett gelegt und
mit Magie zum Schlafen gebracht. Das hatte er nicht geträumt. Das
war alles wirklich passiert. Er erinnerte sich wieder an alles.
Emil
eilte an der Küche vorbei zur Haustür und griff nach der Klinke.
Doch diese gab nicht nach. Ein paar mal rüttelte er daran, weil er
nicht glauben konnte, dass sie wirklich zu war. Dann überlegte er
fieberhaft. Wo war der Schlüssel?
Mehrmals
atmete er tief ein um seinen rasselnden Atem zu beruhigen. Wovor
hatte er Angst? Was würde er überhaupt machen wollen? Gegen die
Seher hatte er keine Chance. Wie kamen sie überhaupt darauf, dass
Martin der Nekromant sein könnte? Wer war dieser Noah?
Emil
lehnte sich leicht gegen die geschlossene Tür. Martin hatte ihm
etwas sagen wollen. Er hatte lange darüber nachgedacht, als er unter
der magischen Kontrolle gestanden hatte. Aber was verdammt hatte
Martin ihm sagen wollen? Er hatte gesagt, dass er glaubt, dass Hanna
gelogen hatte. Aber womit? Hanna hatte gesagt, dass ein Mädchen dem
Nekromanten geholfen hatte. Aber wo sollte sie da gelogen haben?
Hatte Martin herausgefunden, wer der Nekromant war? Das alles ergab
im Kopf keinen Sinn.
Aber,
es war sicher kein Zufall gewesen, dass Elisa genau in diesem Moment
aufgetaucht war. Da stimmte etwas nicht. Sie hatte ihn absichtlich
zum Schweigen gebracht. Aber warum? Was bezweckte sie damit? War sie
der Nekromant? Das konnte Emil sich nicht vorstellen. So falsch die
Anschuldigungen gegen Martin gewesen waren, so plausibel hatten sie
geklungen. Vielleicht hatte jemand Martin bei den Sehern angeschwärzt
und Elisa tat nur ihren Job? Aber dann hätte sie ihn nicht zum
schweigen gebracht. Das alles klang so sehr nach einem abgebrühten
Plan.
Mit
zittrigen Beinen ging er einige Schritte in die Küche und sah aus
dem Fenster. Draußen erkannte er einen der Seher, der mit dem Rücken
zu ihm stand. Emil erkannte ihn an seiner Statur, es war einer der
beiden Männer von gestern und er bewachte scheinbar das Haus. Elisa
hatte ihn hierher bringen lassen und der Typ draußen sollte
scheinbar dafür sorgen, dass er das Haus auch erst einmal nicht
verlassen würde.
Emil
wich einige Schritte zurück und sah sich in der Küche um. Auf der
Arbeitsplatte stand eine Schüssel und daneben eine
Cornflakes-Packung. Unter der Schüssel klemmte ein Zettel. Emil trat
einige Schritte näher, um ihn lesen zu können. „Bringe heute
Abend Nachschub mit. Mama.“
Etwas
enttäuscht stieß Emil die Luft aus. Das war nur eine ganz
gewöhnliche Notiz. Seine Mutter musste schon bei der Arbeit sein.
Deswegen war es auch so still im Haus. Beide seiner Eltern hatten
scheinbar das Haus verlassen. Aber wie? War die Tür doch nicht von
dem Seher verriegelt worden?
Mit
schnellen Schritten hastete Emil zurück in sein Zimmer. Auf dem
Boden fand er seinen Schlüssel. Dann zurück zur Haustür. Der
Schlüssel passte. Aber er ließ sich nicht drehen.
Verärgert
zog Emil den Schlüssel wieder aus dem Schloss. Sie hatten ihn
wirklich hier eingesperrt.
Er
hatte keine Ahnung, wohin er geben wollte oder viel mehr: wohin er
gehen sollte, um den Sehern zu entkommen. Doch er wusste, dass er
auf keinen Fall im Haus bleiben würde. Die Seher hatten ihn hier
eingesperrt und er würde ihnen ganz sicher nicht den Gefallen tun,
und hier bleiben. Irgendeinen Weg musste es doch raus geben. Wenn
nicht die Tür, dann vielleicht die Fenster.
Doch
auch die Fenstergriffe gaben keinen Zentimeter nach, als er daran
rüttelte. Sie waren wie verklebt, auch wenn Emil mit aller Kraft an
jedem einzelnen zog. Er hatte schon alle Fenster überprüft, sowohl
im Erdgeschoss, als auch im ersten Stock.
Etwas
verloren stand er nun in seinem Zimmer, vor der großen
Fensterscheibe, die jetzt schon zweimal zu Bruch gegangen war. Warum
nicht noch ein drittes Mal?, schoss es ihm durch den Kopf. Emil warf
einen prüfenden Blick hinunter in den Garten. Von dem Seher war
keine Spur zu erkennen. Scheinbar stand er vorne am Haus. Wenn Emil
es geschickt anstellte, konnte er von hier vielleicht über das
Vordach und die Garage entkommen. Doch er zögerte. Würde der Seher
wissen, dass er gerade versuchte zu entkommen? Schließlich konnte er
in die Zukunft sehen. Aber eine bessere Idee hatte Emil sowieso
nicht.
Er
betrachtete den Schreibtischstuhl, der neben dem Fenster stand. Die
Wucht sollte ausreichen, um die Scheibe aufzubrechen. Doch ein Blick
auf seine Füße verriet ihm eins: Er sollte erst einmal Schuhe
anziehen.
Nachdem
er seine Turnschuhe neben dem Bett eingesammelt und angezogen hatte
stand er nun vor dem Fenster. Er atmete tief ein. Sowas hatte er noch
nie gemacht und mittlerweile war er sich auch nicht mehr besonders
sicher, ob das wirklich klappen könnte. Trotzdem hob er den
Schreibtischstuhl an beiden Armlehnen hoch. Wenn das nicht klappte,
dann hatte er auch keine Idee mehr. Dann holte er aus und schlug den
Stuhl mit voller Kraft gegen das Fenster.
Der
Aufprall war so heftig, dass er zurück geschleudert wurde. Sein Fall
wurde nur von seinen Armen und dem Teppich etwas gedämpft. Es ging
so schnell, das Emil kaum realisierte, was gerade passiert war. Seine
Unterarme brannten, seine Hüfte schmerzte. Doch als er zum Fenster
sah, war dieses immer noch vollständig intakt. Daneben lag der
Schreibtischstuhl, dessen Lehne nun schief war und dem nun zwei Räder
fehlten. Verdammt!, stieß er aus und rappelte sich auf. Er hatte
überhaupt nichts erreicht. Rein gar nichts.
Vorsichtig
schob er seine Ärmel nach oben und betrachtete die rote, geschürfte
Haut darunter. Es fühlte sich schlimmer an, als es war. Doch wofür?
Er war immer noch hier eingesperrt. Der Seher hatte ihn vollkommen in
der Falle und es gab keinen Weg hinaus. Die Fenster waren versperrt,
die Türe auch. Gegen so eine Magie konnte er niemals ankommen.
Das
Geräusch einer Tür, die ins Schloss fiel, ließ ihn zusammen
schrecken. Das war die Haustür. Waren das die Seher? Hatte der Seher
seinen Fluchtversuch bemerkt? Hektisch sah Emil sich in seinem Zimmer
um, nach einer Antwort, was er jetzt machen sollte, als er seinen
Namen hörte.
„Emil?“
Die Stimme klang nicht, als würde sie einem der massigen Seher
gehören. Emil hielt inne.
„Emil?“, rief die Stimme erneut und Emil hatte das Gefühl sie schon einmal gehört zu haben. Vorsichtig schlich er in den Flur, nah an die Wand gedrückt, um nicht gesehen zu werden und lugte die Treppe hinter. Am Treppenabsatz stand seine Mutter. Oder vielmehr, jemand der wie seine Mutter aussah. Sie trug ein zu großes, graues T-Shirt, dass sie in ihre Jeans gestopft hatte, was sie mindestens 10 Jahre jünger aussehen ließ. So etwas würde seine Mutter nie tragen. Für einen Moment starrte er hinunter und in dem Moment bemerkte die Person ihn.
„Emil?“, rief die Stimme erneut und Emil hatte das Gefühl sie schon einmal gehört zu haben. Vorsichtig schlich er in den Flur, nah an die Wand gedrückt, um nicht gesehen zu werden und lugte die Treppe hinter. Am Treppenabsatz stand seine Mutter. Oder vielmehr, jemand der wie seine Mutter aussah. Sie trug ein zu großes, graues T-Shirt, dass sie in ihre Jeans gestopft hatte, was sie mindestens 10 Jahre jünger aussehen ließ. So etwas würde seine Mutter nie tragen. Für einen Moment starrte er hinunter und in dem Moment bemerkte die Person ihn.
Sie
sahen sich für einen langen Moment an, bis die Person ein DIN-A4
Blatt hervorholte auf dem mit dickem Edding geschrieben stand:
Ich
bin nicht deine Mutter.
„Das
weiß ich auch“, entfuhr es Emil sofort.
Die
Person verdrehte genervt die Augen und legte den Finger auf die
Lippen. Dann winkte sie Emil zu sich heran.
Emil
hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte. Doch ihm fiel
nur einer ein, den er kannte und der so tun könnte als wäre er
seine Mutter. „Cornelius?“, flüsterte er.
Die
Person nickte eindringlich und winkte nun nachdrücklicher. Nur
langsam ging Emil die Treppe hinunter. Er war sich nicht ganz sicher,
ob das eine Falle war. Woher sollte er wissen, ob es wirklich
Cornelius war? Aber wenn er es genau betrachtete, gab es für ihn
auch keine wirkliche Alternative. Er würde nicht in diesem Haus
eingesperrt bleiben. Er musste Cornelius oder wem auch immer einfach
vertrauen.
Als
Emil nah genug war, streckte Cornelius die Hand aus und drückte ihm
einen kleinen Zettel in die Hand. Emil nahm ihn und begann zu
lesen:
Ich bitte dich den Text schnell zu lesen, denn der Seher ist auf dich fokussiert. Sobald du es weißt, wird er es verhindern wollen.
Ich bitte dich den Text schnell zu lesen, denn der Seher ist auf dich fokussiert. Sobald du es weißt, wird er es verhindern wollen.
Mehr
stand nicht auf dem Zettel, Emil sah verwirrt zur Cornelius hinüber,
der einige Schritte zurück zur Tür gemacht hatte und nun die Klinke
in der Hand hielt. Er fing Emils Blick auf und raunte ihm nur ein
Wort zu: „Rückseite.“
Beim Klang seiner Stimme war Emil sich sicher, dass es Cornelius war. Etwas irritiert drehte Emil den Zettel um auf dessen Rückseite nur drei Wörter standen:
Beim Klang seiner Stimme war Emil sich sicher, dass es Cornelius war. Etwas irritiert drehte Emil den Zettel um auf dessen Rückseite nur drei Wörter standen:
Du
wirst fliehen.
Was
meinte Cornelius damit? Doch bevor Emil fragen konnte, hatte
Cornelius die Tür aufgestoßen. Emil sah sich selbst in der Tür
stehen in der gleichen Kleidung die gerade noch seine angebliche
Mutter getragen hatte. Dann rannte Cornelius plötzlich los.
Was
sollte das heißen? Emil war wie gelähmt. Doch dann verstand er
plötzlich. Eine Ablenkung. Das war alles eine Ablenkung für den
Seher. Er durfte keine Zeit verlieren.
Bitte
war zwischen ihm und der offenen Tür keine unsichtbare Wand, die ihn
wieder zurück werfen würde. Er beschleunige seinen Schritt, kurz
vor der Tür kniff er für einen Moment die Augen zusammen. Doch
nichts passierte. Er konnte einfach hindurch treten. Emils Herz
machte einen Sprung und er rannte los. So schnell er konnte.
Den
Seher und Cornelius konnte er nirgendwo sehen. Sein Blick war stur
nach vorne gerichtet. Doch er hörte ihre Stimmen.
„Wie hast du es da raus geschafft? Bleib stehen!“
„Wie hast du es da raus geschafft? Bleib stehen!“
Emil
konnte sich nicht umblicken. Er musste hier weg. Es war nur eine
Frage der Zeit, bis der Seher den Schwindel bemerken würde.
„Was
ist das?“
Das Adrenalin trieb Emils Beine wie von selbst an. Er rannte, als würde es um sein Leben gehen. Die Seher durften ihn nicht kriegen. Er war bereits auf der Straße.
Das Adrenalin trieb Emils Beine wie von selbst an. Er rannte, als würde es um sein Leben gehen. Die Seher durften ihn nicht kriegen. Er war bereits auf der Straße.
Ohne
darauf zu achten, ob ein Auto kam, rannte er quer hinüber. Wohin er
rannte, wusste er nicht.
Hinter
sich hörte er den Seher immer noch rufen. „Bleib stehen!“
Jeden Moment rechnete er damit, dass seine Beine einfach aufhören würden zu laufen. Gestern hatte sie ihn noch vollkommen unter Kontrolle gehabt. Doch diesmal war es anders.
Jeden Moment rechnete er damit, dass seine Beine einfach aufhören würden zu laufen. Gestern hatte sie ihn noch vollkommen unter Kontrolle gehabt. Doch diesmal war es anders.
Er
hatte keine Ahnung, was hinter ihm geschah. Sein
Kopf war wie leer gefegt. Er musste hier weg, weg von dem
Seher. Aber wie sollte er jemandem entkommen, der in die Zukunft
sehen konnte? Wie sollte er ihn jemals zu Fuß abschütteln?
Emil
keuchte vor Anstrengung. Lange würde er das Tempo nicht mitmachen
können. Seine Brust fühlte sich an, als würde sie zerbersten.
Er
hörte erneut ein Rufen, dann einen dumpfen Schlag.
Emil
blickte nach hinten, konnte aber nichts erkennen. Er
hatte keine Ahnung, ob der Seher direkt hinter ihm war oder nicht.
Er schlug einen Haken
nach rechts.
Die
Angst gab ihm noch einmal einen Schub nach vorne. Aber er konnte
nicht ewig rennen. Er musste einen Ausweg finden. Lange würde er das
nicht durchhalten.
Der
Asphalt knirschte unter seinen Schuhen. Er hörte Motorgeräusche.
Dann sah er den Bus, der gerade auf der gegenüberliegenden
Straßenseite anhielt.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen